Fallbesprechung Dr. Martin Falkenbusch

Seit vielen Jahren moderiere ich kollegiale Fallbesprechungen in Einrichtungen der Altenhilfe. Dabei geht es um Situationen, die für die betroffenen Personen belastend und nicht mit den üblichen Maßnahmen zu lösen sind. Die kollegiale Beratung basiert auf der Annahme, dass Menschen immer einen Grund für ihr Verhalten haben.

Auf meinen Social Media-Profilen lasse ich Sie regelmäßig an den spannendsten Fallbesprechungen teilhaben. Auf meinem Blog finden Sie nun die gesamte Fallbesprechung zu Dr. Martin Falkenbusch (alle Namen wurden geändert) vor.

Herr Dr. Martin Falkenbusch ist seit drei Monaten im Altenheim St. Elisabeth. Er ist Pharmakologe und hat die Apotheke im Ort geführt. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter. Eine Tochter ist Internistin und die behandelnde Ärztin von Dr. F.. Die andere Tochter ist Physiotherapeutin mit eigener Praxis vor Ort. Seine Frau besucht ihn täglich zur Mittagszeit und auch seine Töchter besuchen Ihren Vater regelmäßig.

Herr Dr. F. ist an Parkinson erkrankt. Er hat erhebliche Bewegungseinschränkungen, Schluckstörungen sowie leichte kognitive Beeinträchtigungen. Er ist Rollstuhlmobil und kann ganz kurze Strecken, mit Unterstützung, gehen. Die anspruchsvolle Pflegesituation hat die Familie dazu veranlasst, sich für eine Unterbringung im Seniorenheim zu entscheiden. Die Familie finanziert den Aufenthalt von Dr. F. privat.

Die Angehörigen haben enorme Ansprüche an das Haus und an die Mitarbeitenden. Sie erwarten, dass ihre Anliegen unverzüglich bearbeitet werden. Zudem bestehen Abweichungen zwischen den Wünschen der Familie und den Wünschen, die Herr Dr. F. äußert. Die Familie wünscht, dass Dr. F. an den verschiedenen Angeboten, wie Gedächtnistraining, Zeitungsrunde, sportliche Angebote teilnimmt. Den Mitarbeitenden gegenüber äußert Herr Dr. F. sehr eindeutig, dass das nichts für ihn sei und er in Ruhe Musik hören wolle. 

Ein weiteres großes Problem sind seine Schluckstörungen. Die Pflegenden erkennen sein Risiko sich an den Speisen zu verschlucken und zu aspirieren. Sehr gerne würden sie die Getränke andicken und die Speisen püriert. Die Angehörigen zeigten diesbezüglich großen Widerstand.

 

Folgende Fragestellungen habe ich in die Fallbesprechung mit aufgenommen:

  • Was glauben Sie wie sich die Mitarbeitenden gefühlt haben? 
  • Was würden Sie empfinden? 
  • Was ist aus Ihrer Sicht das Hauptproblem in dieser Situation?

 

Die Antworten der Mitarbeitenden waren folgende:

  • „Wir machen doch immer alles falsch. Ich gehe da schon nicht mehr gerne ins Zimmer, wenn die Angehörigen da sind.“
  • „Ich habe das Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen. Wenn wir das machen, was die Angehörigen möchten, ist es nicht richtig für Herrn Dr. F. Wenn wir machen, was Hr. Dr. F. möchte, bekommen wir Ärger mit den Angehörigen.“
  • „Ich komme mir vor wie deren Dienstmädchen.“
  • „Wenn ich die Tochter schon sehe, dann bekomme ich schon schlechte Laune.“
  • „Das ist echt frustrierend mit denen. Du kannst es einfach nicht richtig machen.“

 

Diese Aussagen lassen die durchaus nachvollziehbare Frustration der Pflegenden erkennen. Auf meine Frage, bei welchen Gelegenheiten sich die Angehörigen positiver verhalten haben, gab es folgende Antworten:

  • „Wenn wir die Angehörigen, besonders die Ehefrau, mit einbeziehen. Ich wollte letztens Herr. Dr. F die Strümpfe anziehen und habe dann die Ehefrau gefragt, ob sie mir die Strümpfe heraussuchen möchte. Das fand sie gut.“
  • „Wenn ich mich nicht drücke und da selbstsicher in das Zimmer hineingehe.“
  • „Seitdem ich den Angehörigen gesagt habe, dass ich es toll finde, wie sie sich um ihren Vater kümmern und dass das ja nicht selbstverständlich ist, ist es leichter geworden.“

Anhand des Feedbacks der Mitarbeitenden wird deutlich, dass es positive Reaktionen der Angehörigen gibt, auf die aufgebaut werden kann. Ziel ist es, an diese anzuknüpfen. Vielleicht haben Sie schon ein paar Ideen bekommen, wie die konkrete Maßnahmenplanung für die Pflegenden ausgesehen hat? Schreiben Sie diese gerne in die Kommentare. Ich freue mich auf eine offene Konversation.

 

Im Anschluss an die Sammlung möglicher Lösungsansätze beginnt die konkrete Maßnahmenplanung, die gemeinsam mit den Mitarbeitenden im Altenheim St. Elisabeth erarbeitet wurde:

  • Routinen entwickeln, die mit den Angehörigen besprochen sind. 
  • Wichtig ist es, nicht mit den Angehörigen in Konkurrenz zu gehen, sondern sie einzubeziehen. 
  • Das Einmischen der Angehörigen als Sorge und nicht als Misstrauen deuten. 
  • Dazu gehört es auch, das Gespräch mit den Angehörigen zu suchen und ihnen ganz klar die Personal- und Pflegesituation schildern.
  • Die Rolle einnehmen, die mir zusteht. Obwohl wir als Pflegende ganz nahen Kontakt zu Herrn Dr. F. haben, sind wir verpflichtet eine Distanz zu ihm einzuhalten. Zwischen uns und ihm sind die Angehörigen. Egal wie nah wir ihm in der Pflege oder bei anderen Begegnungen kommen. Wir stehen immer an der zweiten Stelle. 

 

In schwierigen Situationen können Kraftsätze hilfreich für die Mitarbeitenden sein:

  • „Ich mache das, was mir möglich ist und das finde ich gut.“
  • „Ich weiß, ich hab ein starkes Team hinter mir.“
  • „Ich weiß, dass die Bewohner mir dankbar sind.“

 

Ich habe diese Fallbesprechung ausgesucht, weil ich die Lösungsideen des Teams aus dem Altenheim St. Elisabeth so besonders klug fand.
Hinter dem Verhalten der Angehörigen wurde deren Sorge und Verbundenheit zum Ehemann und Vater erkannt. Es wäre leicht, die Angehörigen zum „Feindbild“ zu erklären und mit ihnen in Konkurrenz zu gehen.

Zudem hatte das Team die Souveränität, die Kompetenzen der Töchter zu würdigen und zu nutzen. Gleichzeitig war das Team in der Lage, sich gegenüber der überhöhten Anforderungen der Angehörigen, durch klare Kommunikation und Positionierung abzugrenzen.

Mich hat es beeindruckt, dass die Mitarbeitenden ihren Platz innerhalb der Systeme einzunehmen wussten. Ich teile die Auffassung, dass es in Familiensystemen eine Ordnung gibt. Auch wenn Pflegende dem pflegebedürftigen Menschen physisch und psychisch sehr nah sind und in vielen Angelegenheiten die Verantwortung für den pflegebedürftigen Menschen übernehmen, bleiben sie in der Reihenfolge hinter den Angehörigen an zweiter Stelle. Die wichtigeren Personen sind und bleiben die nahen Angehörigen. Diese Reihenfolge ist keine Logik, sondern viel mehr als ein „inneres Bild“ zu verstehen.

Tatsache bleibt, dass es den Mitarbeitenden gelungen ist, die Konflikte zu minimieren und für ein besseres Miteinander zu sorgen.